Tränen und Respekt

Was passiert, wenn Schüler auf Asylsuchende treffen? Die Antwort darauf lieferte der vergangene Freitagnachmittag. Eine Klasse aus der Oberstufe Lindenhof in Wil war – auf eigenen Wunsch – in der Asylunterkunft zu Besuch. Ein Protokollauszug.

Treffpunkt: Tagesaufenthaltsraum. Ernst Bucher begrüsst Lehrerein Miriam Christen und ihre Schülerinnen und Schüler. «Wir hoffen für euch alle auf eine interessante Begegnung und auf einen regen Gedankenaustausch», sagt der Leiter des Sozialamts Rickenbach. Dann wünscht er eine interessante Stunde und verabschiedet sich – im Büro wartet Arbeit.

Lehrerin Christen übernimmt und gibt sogleich weiter: Vorstellungsrunde. Zuerst die Asylsuchenden, und auch ich, Journalist und Protokollführer, dann die Schülerinnen und Schüler. Sie werden ermuntert, Fragen zu stellen.

Gefällt es Ihnen in der Schweiz?
Lasha: Ja, Schwizerland ist ein schönes Land.

Vermissen Sie Ihre Heimatländer?
Hamid Mohammadi: Ja, aber wissen Sie, in Afghanistan viele Probleme. 35 Jahre Krieg. Ich geboren in Afghanistan, aber aufgewachsen in Iran. Meine Arbeit war Schneider und Steinarbeit. Aber in Iran auch viele Probleme. Heute ich bin zufrieden, aber muss schnell Deutsch lernen.
Hamid Abdullahi: Ja, sehr.

Vermisst ihr eure Familien?
Hamid M.: Ja. Meine Mutter ist verheiratet mit einem anderen Mann, mein Vater wohnt in Iran. Mein Bruder wohnt mit Onkel in Afghanistan. Ich vermisse sie.

Bist du zur Schule gegangen?
Hamid M.: Nein. Mit 13 Jahren ich habe begonnen zu arbeiten. Mit Taliban in Afghanistan ist alles ohne Schule. Ich lebte mit Bruder bei unserem Onkel. Ich hoffe, dass mein Bruder auch in die Schweiz kommen kann. Er hat kein Geld und keine Arbeit.

Wieso bist Du nicht zusammen mit deinem Bruder geflüchtet?
Das Geld war nicht genug für zwei Personen. Ich hatte mein Geld. Habe drei Jahre in Iran gearbeitet. Fast jeden Tag. Von 6 Uhr bis 23 Uhr.

Staunende Gesichter in der Klasse.

Wie war die Flucht?
Hamid A.: Wir mussten viele Stunden laufen. Morgen von 8 Uhr bis Nacht, vielleicht 11 Uhr. Viel Laufen. Zuerst Iran und dann in Türkei. Türkei mit einem Bus und nochmal Laufen.

Raunen, Geflüster, ungläubige Blicke.

Habt ihr Familie zu Hause?
Rahmat: Ja, ich habe zwei Kinder. In Afghanistan. Sie jetzt wohnen mit meine Schwester und meine Vater.

Möchtet ihr hier bleiben?
Hamid M.: Ja! Sicher! In Afghanistan ich habe kein Haus, kein Geld, kein Essen. Hier ist besser.
Lasha: Ja. Aber ich auch möchte schnell fertig Konflikt in Georgia und zurück.

Welche Religionen habt ihr?
Sri: Hindu.
Hamid M.: Muslim.
Hamid A., erregt: Muslim, aber nicht gleiche wie Taliban! Nicht alles Muslim ist Taliban! (Hamid schaut traurig. Eine Träne rollt ihm über’s Gesicht.)
Lasha: Ich bin Christ, orthodox.

Es wird still. Geflüster. Zwei Mädchen weinen.

Rahmat, willst du die deine Familie auch in die Schweiz holen?
Rahmat: Muss warten. Schon möchte meine Kinder auch in die Schweiz, Passport machen. Aber muss warten.

Lehrerin: Wir möchten euch danke sagen, dass ihr euch Zeit genommen habt für dieses Gespräch. Es war ja zum Teil auch sehr persönlich. Das ist nicht selbstvertändlich.

Schülerin: Also ich habe sehr grossen Respekt. Ich bewundere, dass ihr das durchgestanden habt. Die Flucht und alles. Ich könnte mir das nicht vorstellen.

Schüler: Also ich möchte auch sagen, dass ich sehr beeindruckt bin. Ich hätte eine solche Flucht nie geschafft. Ich schaffe es nicht einmal von zu Hause zur Schule zu laufen.

 

 

Geschrieben am: 02.12.2012
Kommentare: 2 Kommentare.
Comments
Comment from Martin - 2. Dezember 2012 at 23:35

Eindrücklich, diese Zeilen zu lesen. Auch Asylsuchende sind Menschen, die Gründe haben so zu sein, wie sie sind. Und viele von Ihnen sind und waren stärker, als wir uns selbst es überhaupt zutrauen würden.

Comment from Christen Miriam - 3. Dezember 2012 at 19:08

Es war wirklich sehr eindrücklich.